October 1, 2008

schöne zahnhygiene

Ein Zahnarztbesuch ist immer etwas Nettes. Es kommt natürlich darauf an zu welchem Klempner man geht, aber prinzipiell macht es doch Spaß. Vor allem weil die Schnuckis in der Rezeption einen wirklich davon überzeugen wollen, dass ein Zahnklempnerbesuch das Beste seit sliced bread ist. Ich schreibe dies anscheinend von einer vollkommen männlichen Perspektive. Wie die andere Art damit umgeht weiß ich natürlich nicht. Also, jedes Mal wenn ich da reinlatsche denke ich mir, die Kleine ist so süß die kann doch sicher nicht mal ihren eigenen Namen buchstabieren. Geschweige denn meinen leicht slawisch angehauchten. Wie wenn sie diesen Gedankengang mit ihren weiblichen Waffen erahnen könnte, blitzt sie mich dann aber mit ihren zahnklempnergebleichten Beißerchen nieder. Ich vergesse daraufhin mein Vorurteil und wundere mich angesichts des Engelsstrahlen nur noch was denn der Grund für meinen angfressenen Restemotionalzustand gewesen sein könnte.

Neulich ist mir wieder mal so eine Emotionalzustandsmanipulation passiert worden. Ich bereite mich also gerade auf die unendliche Warterei vor, da taucht überraschend sofort eine blendende blonde Bombshell vor mir auf und lädt mich ein ihr doch bitte zum vorgesehenen Kammerl zu folgen. Mach ich doch gerne, stehe aber letztendlich vor der Wahl zwischen zwei Prachtexemplaren der Zahntechnik, wenn man das so sagen darf. Unfreundliche ZAHNYGIENE Schilder A und B an den Rückwänden der einstmals heftig in pubertären Schulungsträumen integrierten Rückklappfoltersessel begrüßen mich und verjagen vergnügliche Erinnerungen an eben diese. Wie bei einer dümmlichen aus den USA eingeführten Gameshow steht da jeweils eine Dame neben ihrem Ungetüm. Eine blendet und blitzt einladend, die andere schaut verdrossen aus der Wäsch. Die eine flirtet mich an und die andere erinnert mich an eine DDR Schwimmerin aus den 80ern. Verzagt drehe ich mich zum Rezeptionschnucki, denn das kann doch nicht ihr Ernst sein, aber das Schnucki zuckt - mit den Schultern und schwingt davon. Normalerweise würde so eine Wahl gar keine Qual sein, aber in diesem Falle fühle ich mich vom Schicksal verarscht. Was, wenn das Schicksal weiß, dass ich weiß, dass es weiß, dass ich weiß…?

Ich übergebe mich Fortunas Armen und wähle die Schöne, weil wenn es schon schmerzen soll, dann mit Stil. Es dauert nicht lange, und ich weiß, dass das Schicksal wusste, was ich jetzt weiß. Genau genommen weiß ich es schon beim Hinsetzen, als sich die Schwimmerin leicht hämisch abwendet, als ob das Schnucki und sie schon Viele, von alten, netten Schulungsträumen träumende, in eine Schicksalsfalle gelockt haben.

Lieber Leser, du verstehst, dass nicht alle Zahnhygienedamen gleich gemacht sind. Die einen liebkosen deine dentalen Taschen, diese Ansammlungen von Bakterien, diese Kloaken deiner Speisegewohnheiten. Sie haben es geradezu darauf abgesehen die kleinen Tierchen mit Zuckerbrot aus den Untiefen deiner verschmutzten Fresse herauszulocken, denn Peitsche kennen sie nicht. Die Peitsche ist einfach nicht Teil ihres Makeups. Nun, so eine habe ich noch nie getroffen. Der andere Typ Zahnhygienedame ist dir sicher so vertraut wie mir. Zuerst schaut sie missbilligend da du es gewagt hast, deine dentalen Angelegenheiten in so einen Zustand verkommen zu lassen. Dann greift sie sich das längste, spitzeste und furchtgenerierendste Klempnerwerkzeug welches sie diesseits von Peters Perlentor finden kann, und schiebt es dir unter den Kiefer bis sie bei den Halsnasenhöhlen wieder rauskommt. Manchmal schon auch direkt unterm Augapfel. Meist wird diese Attacke von einem leicht enervierten tsts begleitet, so als ob sie es wirklich leidig wäre einem ungezogenen Jungen immer wieder dasselbe sagen zu müssen. So weh es auch tut, du kannst deinen Schmerz natürlich nicht wegbrüllen, weil du damit beschäftigt bist, nicht im immer präsenten Spülwasserstrahl zu ertrinken. Was nicht so leicht ist denn sie hat deine Zunge mit ihrem praktischen Spiegelchen festgeklemmt.

Und genauso passiert es hier auch. Die kleine Süße wird im Handum- und Bohreraufdrehen zum Zahnhygienepublicenemy # 1. Ich krümme und wende mich zwar innerlich bleibe aber äußerlich stoisch, um ihr nicht die Genugtuung zu geben, dass sie ihr verhärmtes Wesen an einem weiteren Unschuldigen hat aufbauen können. Plötzlich hört sie auf mir im Zahnfleisch herumzusticheln, steht ruckartig auf und lässt mich einfach auf dem Rückklappfoltersessel hängen. Normalerweise würde mir das beim Zahnarzt auf den Geist gehen, aber dieses Mal bin ich eher froh. Sie hätte aber trotzdem den Sauger abdrehen können.

Da verdunkelt ein riesiger Schatten mein erschlafftes Antlitz. Wie das Ufo über New York in Independence Day. Nicht einmal der Schmerzschweiß durfte mir vollständig abtrocknen. Ich höre bedrohlich dumpfe Musik, und während ich mich noch den Unterbewußtseinszwängen der modernen Unterhaltungstechnik zu entziehen versuche, vernehme ich eine Grabesstimme. „Die Kollegin hatte gerade einen Notfall. Ich übernehme sie jetzt.“ Angstschweiß bricht mir jetzt aus allen Poren während ich der soeben abgerauschten Teufelsengelin noch die schlimmsten Flüche nachsende (Ich erinnere mich nicht genau, irgendetwas mit ihrem Erstgeborenen muss es gewesen sein) während ich sie gleichzeitig innerlich anflehe zurück zu kommen. Ich würde ihr doch auch zeigen wie sehr ich in ihrer Gewalt stehe. Alles nur das was da auf mich zukommt. Aber diese mickrigen Flüche und dieses erbärmliche Flehen verblassen angesichts der schieren Angst die das Erzittern meines Sessels in mir hervorruft welches die Schwimmerin auslöst als sie mit vollem Gewicht in ihren Sessel sackt. Mir wird übel wie einem Hund der auf einer kalifornischen Erdbebenfalte kurz vor dem Big One sitzt. Mir fahren wirre Ausreden durch den Kopf die diese Frankensteinin der Zahnhygiene ablenken und mir so die Flucht ermöglichen könnten. Nichts hilft, ihre quadratisch-praktischen Löffel von Händen drücken mich sanft in den Sessel. Ich nehme an mir kommt das nur sanft vor weil ich kurz vor der Ohnmacht stehe. Die Schwimmerin beugt sich über mich, nimmt mein Kinn in die Hand, raspelt mir ins Ohr „Bitte etwas zu mir drehen“ und „öffnen“. Man kann sich nicht vorstellen wie wichtig es mir in diesem Augenblick wäre nein sagen zu können. Nein, heißt nein, verdammt noch mal. Auch wenn man es nur mit dem Reptilienhirn flüstert. Aber es hilft nichts, diese Rückklappfoltersesselzahnvergewalting geht tatsächlich von statten und ich kann nichts dagegen tun. Rein gar nichts. Ich ergebe mich meinem Schicksal, sehe Überschriften á la „Mann von Ex-DDR Schwimmerin im Rückklappfoltersessel ertränkt“ in den Boulevardblättern der Stadt und dann passiert das Unglaubliche.

Nichts.

Ich spüre nichts. Rein gar nichts. Sanft gleitet das Schalltechnologiezauberzahnhygienegerät über meine Dentale, unter mein Zahnfleisch, durch jedes kleine Hindernis als ob es Butter wäre und nicht monatelang mühsam angesammeltes Zahngestein. Die Feinmotorik dieser Maria Callas der Zahnhygiene ist erstaunlich. Ich glaube fast nicht, dass sie wirklich noch säubert. Wie könnte sie denn auch, mit diesen Pranken von Händen? Ein Grizzlybär wäre stolz auf die. Aber ich spüre doch nichts, wie kann das sein? Vielleicht poliert sie ja schon. Ich wage einen schielenden Blick. Aber nein, sie verwendet dasselbe Gerät wie die jetzt schon fast vergessene letzte Henkerin meines Zahnglückes, und ignoriert freundlich mein Schielen. Wo ich vor kurzem versuchte, dem Schmerz und der Schönen gegenüber stoisch zu sein, rinnen mir jetzt die Tränen des Entzückens, der Erlösung über die Wangen. Ich kann es mir nicht verkneifen. Sofort hält sie inne. Entsetzt fragt sie mich „Geht es noch, Gnä’ Herr?“ Sie, die ihre kleinste Handbewegung aufs Feinste abgestimmt hat, kann derartige Tränen nicht gewohnt sein. Ja, sie muss annehmen, dass sie, die Göttin der Sanftheit, mir Schmerzen verursacht hat. Ich sehe in ihren fassungslos verkniffenen Athletenaugen, dass ihr dies tiefstes Unbehagen, ja, wahrlich Schmerz verursacht. Ich bin so gerührt dass ich ihr nur weinend versichern kann, dass alles, wirklich alles im zahnhygienisch Reinsten ist.

Die Moral dieser Geschichte: Trau dem blendenden Schein nicht und am Besten wäre es du traust die Sanfteste.

6 comments:

  1. lieber peter!

    ich trete massiv fuer weitere deutsche geschichten ein!! vielleicht werde ich sogar eine petition schreiben. endlich habe ich deine wortspiele mal vollstaendig verstehen können. und natürlich mitgelitten, schliesslich erzeugt der gedanke an zahnaerzte bei mir schon verdauungsstoerungen.

    also weiter so!
    rainer

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  2. lustig, mach ich doch glatt, vor allem weil sich sofort die anderen alle aufgregt ham, dass sies jetzn nicht verstehn!

    machst du dich jetzt über meine petitionswut lustig :)

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  3. Da will ich doch auch gleich zur Zahnhygiene gehen...! Bringen mich immer wieder zum Lachen deine G'Schichterln und dein Talent des Schreibens ist einmalig :o) Uschi

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  4. aww, danke dir, freut mich dass ich dich ein bisi zum lachen bringen kann! ich hoff du findest eine schwimmerin :)

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  5. Ja, ja so kann sich selbts ein früherer Siegmund Freud Gymnasiast irren.
    Eins bleibt aber noch unklar, weswegen du dann ein Antibiotikum nehmen musstets. Hat die Göttin der Zahnhygiene mit dem Ulltraschallgerät eine ungewollte Hirn OP durchgeführt?

    Regards,

    Dr. ÜB

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  6. hehe, die vorurteile...

    jetzt mach ma keine angst, das antibiotikum war ja fürs aufschneiden, net fürs säubern.

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